Regeln zum Thema 11: Getrennt- und Zusammenschreibung
11.5 Verbindungen des Typs Rat suchend, ratsuchend, guten Rat suchend
Die Grundregel für die Schreibung von Verbindungen aus Substantiv, Verb, Adverb, Adjektiv oder Partikel und einem adjektivisch gebrauchten Partizip lautet, dass man diese Verbindungen genauso schreibt wie den zugrunde liegenden Infinitiv (vgl. Dudenregel K58):
- große Probleme bereiten - große Probleme bereitend
- wild lebend - wild lebend, frei stehen - frei stehend
Dabei ist Folgendes zu beachten (vgl. § 36 2.2):
(1) Verbindungen aus Substantiv, Verb, Adverb, Adjektiv oder Partikel und einem adjektivisch gebrauchten Partizip schreibt man getrennt oder zusammen:
- Rat suchend/ratsuchend, Not leidend/notleidend, Laub tragend/laubtragend
- wild lebend/wildlebend, frei lebend/freilebend, frei stehend/freistehend
(2) Bei Substantivierungen sind ebenfalls zwei Schreibungen möglich, da man die Verbindung als Wortgruppe oder als zusammengesetzte Substantivierung auffassen kann:
- der Rat Suchende oder der Ratsuchende, der Not Leidende oder der Notleidende
(3) Nur getrennt schreibt man, wenn der erste Bestandteil erweitert oder gesteigert ist:
- guten Rat suchen, bittere Not leiden, viel Laub tragen
- völlig wild leben, vollkommen frei leben
- völlig/ganz frei stehen
- Früher hat dieses Haus ganz frei gestanden, jetzt ist alles verbaut und die schöne Aussicht weg.
(4) Nur zusammen schreibt man, wenn die ganze Verbindung erweitert oder gesteigert ist:
- die bittere Not leidende Schülerschaft, aber: die aüßerst notleidende Schülerschaft
- ein schwerer wiegendes Vergehen aber: ein schwerwiegenderes Vergehen
Hinweis
Die optionale Zusammenschreibung in (1) ist 2006 eingeführt worden. Von 1996 bis 2006 galt, dass sich die Schreibung in diesen Fällen ausschließlich nach der zugrunde liegenden Infinitivgruppe richtet:
- Rat suchend (Rat suchen), Not leidend (Not leiden), Laub tragend (Laub tragen)
- wild lebend (wild leben), frei lebend (frei leben), frei stehend (frei stehen)
In Fällen notwendiger Zusammenschreibung (wehklagend, da: wehklagen wird auch weiterhin mit der Schreibung des zugrunde liegenden Infinitivs operiert.
Bemerkenswerterweise spielt bei den Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung bei der Wortart Adjektiv (§ 36) die Betonung keine Rolle, zumindest wird sie nicht erwähnt. Es gibt auch keinen Hinweis auf die Getrenntschreibung morphologisch komplexer Verbindungen wie in § 34 2.3 (Verb), sodass der Eindruck entstehen kann, man könne alle Verbindungen aus Substantiv, Verb, Adverb, Adjektiv oder Partikel und einem adjektivisch gebrauchten Partizip (s. (1)) getrennt oder zusammenschreiben.
Bei komplexen Verbindungen sollte man jedoch entsprechend der Betonung nur getrennt schreiben:
- eine dunkelrot blühende Blume, die fröhlich singenden Kinder
- der die Aufgaben immer richtig kontrollierende Lehrer
- der aufmerksam lesende Schüler
Deshalb die Empfehlung: Da es sich in (1) um eine Kann-Bestimmung handelt, sollte in Fällen wie in (1) ausgehend vom zugrunde liegenden Infinitiv geschrieben werden, denn diese Schreibung ist auf jeden Fall richtig.
Hinweis für all die, die die "alten" Regeln noch kennen gelernt haben
Die alten Regeln boten in einigen Fällen die Möglichkeit, durch die Schreibung der Verbindung Substantiv/Adjektiv + Partizip eine Bedeutungsdifferenzierung vorzunehmen:
- ein biertrinkender Mann (= ein Biertrinker)
aber: ein Bier trinkender Mann (= ein Mann, der gerade Bier trinkt).
Diese Differenzierung war aber nur bei nicht erweiterten Wortgruppen möglich (ein viel Bier trinkender Mann war auch früher getrennt zu schreiben) und auch nur dann, wenn die Wortgruppe in ihrer Bedeutung eine Eigenschaft (z. B. Biertrinker) bezeichnete. Die nicht ganz einfache Formulierung im Duden lautete dazu:
"Man schreibt auch dann zusammen, wenn die Zusammensetzung eine [dauernde] Eigenschaft bezeichnet, die vielen Dingen in gleicher Weise eigen ist, d. h., wenn sie klassenbildend gebraucht wird."
Aber wann genau ist etwas klassenbildend und warum steht das Wort dauernde in Klammern? So kam es zu vielen Unsicherheiten in der Schreibung.
In den neuen Regeln gibt es diese Unterscheidung nicht mehr. Und das Verstehen regelt sich - wie schon immer - über den Kontext oder die entsprechende Formulierung.
Hinweis zu den Übungen
Bei den mit Sternchen gekennzeichneten Beispielen ist auch Zusammenschreibung möglich. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird auf das Ausschreiben der zweiten Variante verzichtet.